Tuesday, November 02, 2004

Steely Dan

Steely Dan - Die Legende, die niemanden interessiert

Die beste Musikgruppe der Welt, aller und für alle Zeiten, darüber besteht kein Zweifel, ist Steely Dan. Die Heldenverehrung, die sich um die beiden einzigen Mitglieder Donald Fagen und Walter Becker rankt, entspringt vielen Quellen. Zum einen gehörte sicherlich immer ein - zugegebenerweise etwas lächerlich anmutendes - Elitedenken dazu, eine Gruppe zu lieben, die nur wenige Freunde kannten, geschweige denn ebenso heftig verehrten, wie man selbst. Mag sich in ihrer Musik noch etwas von dem gespiegelt haben, was jeder im Grunde mochte, aber nie hörte (Jazz, Disco, Klassik, Brasilien und der Rest der Welt, allerlei andere Absonderlichkeiten), konnte man bei den Texten ( doch sollte man hier tatsächlich von den lyrics sprechen) sicher sein, daß niemand anderer etwas von dem verstand, was ausgesagt wurde. Dabei spielte es überhaupt keine Rolle, ob man dies selbst tat; es ging um das Gefühl, zu den Erwählten zu gehören, die sich von ihnen in irgendeiner Form angesprochen fühlten. Auf unerklärliche Art und Weise glaubte man immer, als einer der wenigen den vollkommen hermetischen Kosmos der Musik zu durchdringen, man konnte sich eins fühlen mit dem Zauber des Absurden, und wußte zugleich, daß es keine perfekter produziertere und trotzdem unsterile Musik geben könnte (in einem Online - Interview vom März dieses Jahres weigerten sich Fagen und Becker beständig, irgendwelche Erklärungshilfe zu bieten: „You may be very eager and 15 and a huge fan, but you’ve gotta come up with some more exciting questions. Read it and weep.“)
Von der ersten Platte Can’t buy a thrill (1972), die bereits alles im Keim enthielt, was in den folgenden Jahren und Alben vorgeführt werden sollte, bis zur letzten, Gaucho (1980) gelang es Fagen und Becker, eine eigene Welt zu erschaffen. Es war eine besondere, eine seltsame und spannende Welt, eine Welt, in der sich niemand wirklich heimisch fühlen konnte, die aber, das fühlte man, eines jeden Heimat war. Bei der Erschaffung dieser Welt bedienten sich die beiden ungewöhnlichen Mitteln; so wirkte ihre Ironie, ihr Sarkasmus, selbst ihr Zynismus niemals destruktiv, und die Lust an der musikalischen Parodie verriet nicht die Vorbilder, sondern belebte sie wieder. Zitate gab es zuhauf, aber niemals um des bloßen Zitierens willen, sondern zur Erschaffung eines eigenständigen neuen Ganzen, eines Gedankengebäudes, das der Vielgesichtigkeit der Welt Rechnung trägt („Do you guys ever give straight answers?“ - Donald Fagen: „No one will ever make anything straight out of the crooked timber of mankind.“ - Walter Becker: „They certainly won’t.“)
Der zuweilen vorgebrachte Einwand gegen die Musik Steely Dans lautet, daß die Intellektualität der Gruppe jede Emotion oder Intensität abtöte, doch basiert dieser Vorwurf auf der sehr zweifelhaften Annahme, daß Verstand und gute Musik sich ausschließe, und außerdem hieße dies im Umkehrschluß, daß eine jede Gruppe, die „ehrliche“ Rockmusik spielt, mit solchen Dingen wie etwa Arrangement und ähnlichem nichts im Sinn hätte.
Gleichzeitig zeigt das Beispiel Steely Dan, welche Opfer sich ein Anhänger einer bestimmten Band freiwillig auf sich zu nehmen bereit sein kann. Nicht nur die beharrliche Ignoranz und das offenkundige Desinteresse aller anderen Menschen (das ja noch hinnehmbar wäre, und auch dem eigenen Geschmack unter Umständen ein besonderes Prädikat verleihen könnte), nein, veritable Schmerzen gilt es zu erdulden. So kann es keinen Fan kalt lassen, wenn die als Meilensteine der modernen Musik geschätzten sieben Alben der Lieblingsgruppe für einen Preis verramscht werden, der jedem Maßstab spottet, wenn gleichzeitig der letzte Schund für das Doppelte verkauft wird. Auch die zahlreichen Best-of-Alben (deren Zahl im übrigen die der tatsächlichen übersteigt) können über diesen Schmerz nicht hinweghelfen (auch der Umstand, daß in den letzten Jahren wenige Gruppen so häufig gesamplet wurden, wie The Dan, vermag dies nicht). Weiß man doch, daß sie keinem plötzlich erwachten Interesse an dieser Musik entspringen (und spätestens jetzt zeigt sich der seltsame Widerspruch, in dem wohl ein jeder Steely Dan - Fan gefangen ist: zum einen liebt er die Gruppe, weil er sich fast allein mit dieser Vorliebe weiß, zum anderen aber leidet er an dem Desinteresse seiner Umwelt an seinen favourites)
Im Juli dieses Jahres aber wendete sich das Blatt. Hatte sich schon mit der Mitarbeit Walter Beckers an Donalds Fagens letztem Soloalbum Kamakiriad eine eventuelle Wiedergeburt der Gruppe antizipiert, so bestätigten die Meldungen von Konzerten in den USA diese Hoffnung, die man eigentlich schon ad acta gelegt hatte. Plötzlich fühlte man so etwas wie eine überirdische Genugtuung darüber, daß nicht nur Status Quo nach 30 Jahren noch lebten, sondern daß das Gute schlechthin schließlich doch siegen würde; es gibt einen Gott, er ist gütig und tut wohl (der Autor dieser Zeilen schämt sich nicht zu gestehen, daß, als er bei einem nächtlichen Spaziergang durch Köln des Plakats mit der Ankündigung des Auftritts für den 6. September in der Sporthalle angesichtig wurde, er spontan auf die Knie fiel, und sich bekreuzigte). Doch mag es wohl einen gütigen Gott gaben, so gibt es noch lange kein Publikum, das bereit wäre ihm zu folgen, und tatsächlich verschwanden nicht nur nach kurzer Zeit die wenigen Plakate, die für das Konzert in der Sporthalle warben, auch die Ankündigung der deutschen Tourdaten in der offiziellen Steely Dan - Homepage im Internet verschwand. Es bleibt nur zu spekulieren, warum es also nicht zu diesem Auftritt kam, und wenn ich ehrlich bin, möchte ich die Wahrheit auch gar nicht wissen.

Nachtrag: Das ist ein Artikel von 1996 (habe aus Respekt vor mir selbst die alte Rechtschreibung beibehalten). Inzwischen hat die Band eine ausverkaufte Europatournee absolviert, zwei neue CDs gemacht und für die vorletzte, 2 vs. Nature, zwei Grammys gewonnen, darunter den für die beste CD des Jahres. Die letzte, im vergangenen Jahr herausgekommen, Everything must go, wird unter anderem als bisher beste und überzeugendste Abrechnung mit dem New Economy-Hype der Jahrtausendwende gefeiert.

1 comment:

Anonymous said...

Gut beschrieben. Auch ich leide unter dem Desinteresse meiner gesamten Umwelt an "The Dan".

Die sieben Alben von "Can't Buy A Thrill" bis "Gaucho" sind für mich ein einziger "Countdown To Ecstasy". Nie würde ich mich von "The Dan" scheiden lassen, auch nicht auf haitianisch.

In diesem Sinne: vielen Dank für den Beitrag.